Entwicklung der Zeche Zollverein im Bereich des heutigen Welterbe
Die Vereinigte Stahlwerke AG und die Zentralschachtanlage
Um konkurrenzfähig zu bleiben, beschließen die Unternehmen Phönix AG für Bergbau und Hüttenbetrieb, die Rheinische Stahlwerke AG, Thyssen sowie die Rheinelbe Union einen Zusammenschluss ihrer Unternehmen. Die Vereinigte Stahlwerke AG wurde 1926 gegründet und war mit ihrem Anteil von 20 Prozent an der Kohlenförderung und 42 Prozent an der Roheisenproduktion der größte Montankonzern zu dieser Zeit in Europa. Auch die Zechenanlage „Zollverein“ ging in die neu gegründete Vereinigte Stahlwerke AG über. Die Betriebs-und Interessengemeinschaft zwischen der Familie Haniel und der Phönix AG ging damit zu Ende.
Damit endet 86 Jahre nach Erteilung des ersten Schurfscheins im Grubenfeld „Zollverein“ an Franz Haniel im Jahr 1840 auch die gemeinsame Geschichte der Familie Haniel und der Gewerkschaft „Zollverein“. Man nimmt eine Vertragsvereinbarung von 1920 war und tauscht seine Gewerkschaftsanteile gegen Aktienanteile der Phönix AG. Die Gewerkschaftsanteile gehen an die Zechen „Rheinpreußen“ und „Neumühl“. Einige Bauten der gegenwärtigen, zum Unesco Welterbe gehörenden Gründerschachtanlage 1/2/8 stammen noch aus der Zeit kurz nach der Wende zum 21. Jahrhundert, die noch von der Familie Haniel mitgeprägt wurde.
Die Zeche „Zollverein“ geht derweil als Teil der Phönix AG in die Vereinigte Stahlwerke AG über, genauer gesagt in die Bergwerksgruppe Gelsenkirchen. Geleitet wird diese Abteilung von dem Bergassessor Friedrich Wilhelm Schulze Buxloh. Er wird eine entscheidende Rolle bei der weiteren Entwicklung der Zeche „Zollverein“ spielen.
In der 2. Hälfte der 1920er Jahre wird nochmal in die Schachtanlage 4/5 investiert. Im Jahr 1927 wird der Schacht 11 fertiggestellt. In der Vereinigten Stahlwerke AG sollen die Kosten gesenkt und die Produktivität erhöht werden. Eine notwendige Rationalisierung steht auch der Zeche „Zollverein“ bevor. Was Bergassessor Friedrich Wilhelm Schulze Buxloh vorfindet, ist allerdings weniger erfreulich. Die Aufbereitung, die Erzeugung von Pressluft, Dampf und Strom sowie die Förderanlagen arbeiten unwirtschaftlich oder sind verschließen und abgewirtschaftet.
Die Selbstkosten sind zu hoch, der Qualitätsanspruch an die Ausbringung der Kohlewäschen dagegen nicht hoch genug. Die im Grubenfeld vorhandenen großen Kohlevorräte von hoher Kohlequalität rechtfertigen jedoch Investitionen in Erneuerungen.
Um die vier Schachtanlagen auf neustem Stand der Technik zu bringen, sind Modernisierungen und Erneuerungen notwendig, die mit 15 Millionen Mark zu Buche schlagen würden. Die vier Schachtanlagen, die zusammen eine tägliche Förderleistung zwischen 1500t und 3000t erbringen sollen, sind zudem durch ihre Tagesanlagen alleine betriebsfähig . Das bedeutet aber auch, dass die Betriebskosten dementsprechend auf hohem Niveau liegen, da sie z.B. alle über einen eigenen Bahnanschluss, eine eigene Dampf-und Stromerzeugung sowie über eigene Wäschen verfügten.
Bergassessor Friedrich Wilhelm Schulze Buxloh hat andere Vorstellungen. Optimierung der Prozesse durch Zentralisierung der Arbeitsabläufe von der Förderung bis zur Aufbereitung, sowie der Tagesanlagen in einer großen Schachtanlage. Damit soll eine Tagesförderung von 12.000t erreicht werden, also viermal soviel Kohle wie mit den Einzelanlagen. Rationalisierung heißt aber nicht nur Steigerung der Produktivität in Form der Förderleistung, sondern auch Kostensenkung. Die Zentralanlage soll für die Schachtanlage 1/2/8, die Schachtanlage 6/9 und die Schachtanlage 3/7/10, also für das südliche Grubenfeld die Förderung übernehmen. Die alten Schachanlagen dienen dann ausschließlich der Personen- und Materialeinfahrt. Die Schachtanlage 4/5/11, die noch vor kurzem Modernisierungen erfahren hat, soll als selbstständige Schachtanlage die Förderung für das nördliche Grubenfeld übernehmen.
Unterstützt vom Regierungsbaumeister Schroeter und dem Maschinendirektor Arauner entwickelt Bergassessor Schulze Buxloh die ersten Pläne. Für eine Modernisierung der Schachtanlagen 1/2/8, 6/9 und 3/7/10 wäre eine Investition von rund 12 Millionen Reichsmark notwendig. Laut Kalkulation ergibt sich für das Projekt Zentralschachtanlage von Schulze Buxloh eine Investitionssumme von rund 14 Millionen Reichsmark zuzüglich 4,5 Millionen Reichsmark für ein Kraftwerk für Pressluft. Dem kann eine Senkung der Betriebskosten entgegengehalten werden. Die Ersparnis alleine für die Presslufterzeugung wurde mit 700.000 Reichsmark jährlich beziffert. Die neue Wäsche sollte eine Ersparnis von 500.000 Reichsmark jährlich durch erhöhte Mehrausbringung erwirtschaften. Außerdem konnte bei den Gehältern für 500 Mitarbeitern ( Köpfe ) durch Wegfall gespart werden.
Die Pläne von Schulze Buxloh wurden aber auch kritisiert. So kann man einer Korrespondenz aus dieser Zeit zwischen Bergassessor Schulze Buxloh und dem Dr. Ing. Schwemann, Geheimer Bergrat und Professor an der Technischen Hochschule Aachen entnehmen, dass über das Verhältnis zwischen der Technisierung und der Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen, sehr unterschiedliche Meinungen existierten. An anderer Stelle wird dann auch schon mal von „Größenwahn“ gesprochen. Zuspruch erhält Schulze Buxloh von höherer Seite. Albert Vögler, langjähriger Vorsitzender der Vereinigten Stahlwerke AG, erkennt die Wirtschaftlichkeit der Pläne und stellt die finanziellen Mittel zur Verwirklichung zur Verfügung. Nach Ihm ist zeitweise Schachtanlage 12 benannt, sein Namenszug auf der Schachthalle zu lesen. Aber auch Fritz Thyssen, Aufsichtsratsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke AG soll dieser Planung positiv gegenübergestanden haben.
Im Jahr 1928 wird mit der Errichtung der Schachanlage 12 begonnen. Waren bisher die Schachtanlagen über Jahre gewachsen, Erweiterungen und Erneuerungen vorgenommen, Anlagen abgerissen und den jeweiligen Erfordernissen angepasst worden, so entstand mit der Schachtanlage 12 ein von Anfang an auf die Produktionsabläufe abgestimmte Tagesanlage. Waren früher die architektonischen Aspekte den Ingenieurleistungen untergeordnet, kam es jetzt zu einem Miteinander.
Die Architekten Fritz Schupp und Martin Kremer sollten sich nun für die gestalterische, architektonische Seite dieses Projektes verantwortlich zeigen. Für diese Architekten war der Industriebau kein Neuland. Seit Gründung der Vereinigten Stahlwerke AG 1926 waren immer wieder Aufträge erteilt worden. Ein Kontakt zu Schulze Buxloh bestand schon seit längerem. Diese beiden Architekten prägten mit Ihrer Stahlskelettbauweise und ihrem strukturierten Fassadenaufbau die Tagesanlagen der neuen Schachtanlage 12. Man setzte also in Gegensatz zur Massivbauweise auf eine strikte Trennung zwischen der innen liegenden tragenden Rahmenkonstruktion und einer sich selbst tragenden Aussenfassade. Dieses System kommt den Anforderungen im Industriebau entgegen, insofern Veränderungen wie Erweiterungen, Umbauten sowie Demontage einfacher und Zeit optimierter zu realisieren sind. Außerdem verhält sich das eingesetzte Material sowie die gesamte Konstruktion statisch wesentlich günstiger in Bezug auf Erschütterungen, die durch den Umlauf der Förderwagen oder der Setzmaschinen entstehen.
Die modulare Bauweise ermöglicht auch die ornamentlose strenge Gestaltung als Kuben, deren funktionsorientierte Ästhetik auch bei der Bauhausarchitektur zu finden ist. Zudem ist sie in ihrer Klarheit und Konstruktion für alle Gebäudeteile der Schachtanlage anwendbar. So entsteht ein einheitlich geprägtes Erscheinungsbild der Schachtanlage, wie sie sich uns heute noch präsentiert. Ein Erscheinungsbild, das die Leistungsfähigkeit und die Moderne deutlich nach außen verkörpert.
Über Schacht 12, der 1929 abgeteuft wird, soll die Gesamtförderung der Zeche „Zollverein“ abgewickelt werden. Das heute noch als markantes Wahrzeichen weithin sichtbare Fördergerüst, wurde als vollwandiges Doppelstrebengerüst ausgelegt und hat eine Gesamthöhe von ca. 54 Metern. Die jeweils an den Seiten des Fördergerüstes befindlichen Fördermaschinen in den Fördermaschinenhäusern Süd und Nord betrieben die jeweils vier Fördergestelle. Jedes Fördergestell hatte vier Etagen, die jeweils drei Förderwagen aufnehmen konnten. Die gesamte Anlage war nach ihren technischen Produktionsabläufen gegliedert. In der Wipperhalle wurden die vollen Förderwagen über Kopftwipper entleert und über den Schacht wieder in die Grube verbracht. Weitere Produktionsschritte wie die Aufbereitung führten dann zum verwertbaren Produkt, der Kokskohle.
Zwischen 1928 und 1932 entstehen weitere nachfolgende Errichtung der Tagesanlagen:
- die Schachthalle
- der Wagenumlauf
- die Lesebandhalle
- die Kohlewäsche
- der Bergebunker
- das Lagerhaus Werkstatt Nord
- der Kokskohlenbunker
- das Gebäude für Hochdruckkompressor
- das Kesselhaus
- der Schornstein (106m hoch)
- die Mechanische Werkstatt
- das Gebäude für Niederdruckkompressor
- der Kühlturm
- die Elektrowerkstatt
- das Schalthaus 1
Am 1. Februar 1932 nahm die Schachtanlage 12 ihren Betrieb auf. Sie war zu dieser Zeit auch auf Grund Ihrer klar strukturierten Produktionsabläufe eine der leistungsfähigsten und modernsten Steinkohleanlagen der Welt. Gleichzeitig wurde die Schachtförderung auf den anderen Schachtanlagen der Zeche „Zollverein“ eingestellt. Die Schattenseite der Rationalisierungmaßnahmen, dessen Folge die Zentralisierung der Förderung der Zeche „Zollverein „ darstellt, erfuhren die Arbeitskräfte. Der schon bei der Kalkulation dieses Projektes einbezogene Wegfall von ca. 500 Stellen im Übertagebetrieb wurde vollzogen.